„Hätte ich ihr doch öfter über die Schulter geschaut…“
Die Mai-Kolumne von Mike Assmann
(ma/sp) Es gibt viele Dinge, die wir im Leben besser lassen sollten. Wir sollten unsere Fehler nicht immer wieder zerdenken. Wir sollten nicht in der Vergangenheit hängen bleiben – und uns auch nicht zu sehr mit der Zukunft verrückt machen. Denn das Leben spielt sich genau hier und jetzt ab. In den wenigen, klaren Momenten, es sind nur ein paar Sekunden, die wir wirklich bewusst erleben. Sie sind unser wahres Leben. Und doch gibt es etwas, das schwerer wiegt als alles andere – Reue. Reue ist ein stiller Schmerz, der an uns nagt, obwohl wir nichts mehr daran ändern können. Ich halte nicht viel davon, Dinge zu bereuen. Wir alle entwickeln uns weiter, gewinnen mit jedem Jahr neue Perspektiven, neue Einsichten und bekommen mehr Lebenserfahrung. Natürlich würde ich heute manches anders machen – wer würde das nicht gern tun? Doch damals haben wir stets mit bestem Wissen und Gewissen entschieden. Aus dem Menschen, der Persönlichkeit heraus, der wir damals waren. Und das ist in Ordnung so.
Aber wenn ich ehrlich bin – eine Sache bereue ich doch. Und das ist, dass ich meiner Großmutter nicht öfter beim Kochen über die Schulter geschaut habe. Ich hätte so viel lernen können. Sie zauberte aus den einfachsten Zutaten Gerichte, die heute noch nachklingen – ohne exotische Gewürze, ohne Hightech-Küchengeräte, oft mit kaum mehr als einem alten Holzlöffel und einem Gusseisentopf. Und trotzdem war da dieser Geschmack – tief, rund, ehrlich. Eine Erinnerung, die sich eingebrannt hat. Heute, mit einem vollen Gewürzregal und einem halben Dutzend Küchenmaschinen, bekomme ich es trotzdem nicht so hin wie sie. Vielleicht, weil es nicht nur um Zutaten oder Technik ging – sondern um Gefühl, Erfahrung, Hingabe. Ich hätte ihr einfach öfter zuschauen sollen. Nicht nur, um ihre Rezepte zu lernen. Sondern um zu begreifen, wie viel Liebe und Intuition in echter Kochkunst steckt.
Manche Dinge lernt man eben nicht aus Kochbüchern – sondern nur, wenn man zuhört, hinschaut und Zeit miteinander verbringt. Genau darin liegt der wahre Genuss. Also schaue Deiner Mutter, dem Vater und all Deine Lieben öfters mal über die Schulter. Nicht nur beim Kochen.
Ihr
Mike Aßmann
Inhaber des Foodhunter-Magazins