Die Schweiz wird zum Bierland

Zahl der Kleinbrauereien explodiert und der Absatz auch

(NZZ/s) Kleine Bier-Boutiquen, die mit neuen Rezepturen und leidenschaftlicher Braukunst auftrumpfen, bestimmen den Takt der Branche: Es gibt immer mehr Brauereien – und erstmals stieg im letzten Jahr auch der Pro-Kopf-Konsum wieder an. «Freybier», «Schnuzz-Brauerei» oder «Hopfla-Brauart» sind nur drei Beispiele für die insgesamt 152 Brauereien, die alleine im letzten Jahr aus dem Boden geschossen sind. Noch nie wurden in der Schweiz so viele Brauereien registriert wie im Hitzesommer 2018: Das geht aus dem Verzeichnis der steuerpflichtigen Inlandbrauereien hervor, das die Eidgenössische Zollverwaltung jedes Jahr veröffentlicht. Inzwischen sind 1021 Brauereien verzeichnet – mehr als viermal so viele wie vor zehn Jahren (246). 1990 gab es in der Schweiz gar erst 32 Brauhäuser. Inzwischen verfügt die Schweiz auch im internationalen Vergleich über eine rekordhohe Brauereidichte.

Längst hat sich Bier vom Massenprodukt zum Getränk für Liebhaber und Feinschmecker entwickelt. Zwar wird das Gros des Bierausstoßes immer noch von den Großbrauereien produziert. Doch waren es 2008 noch über 12 000 Hektoliter Bier, die im Schnitt pro Brauerei flossen, waren es im letzten Jahr im Mittel nur 3500 Hektoliter. Das zeigt: Kleine Bier-Boutiquen bestimmen mit viel Experimentierfreude und hochwertigen Rezepturen immer stärker den Takt der gesamten Branche. Das schlägt sich auch im Dienstleistungsbereich nieder, der ebenfalls boomt. Bier wird heute wie Wein von Spezialisten degustiert und beurteilt. Die Ausbildung zum Bier-Sommelier, der in der Schweiz noch vor zehn Jahren fast unbekannt war, wird immer beliebter. Jedes Jahr werden Dutzende von Sommeliers zertifiziert. Vergangene Woche rief der Schweizer Brauerei-Verband zudem das «Swiss Beer Panel» ins Leben, wo Brauereien ihr Bier unabhängig beurteilen lassen.

Dabei herrschte während Jahrzehnten trostlose Monotonie im Bierland Schweiz. Die Stange war landesweit genormt, wie alles andere, was unter der Bezeichnung «Bier» in der Wirtschaft und über den Ladentisch gereicht wurde. Ein scharfes Kartell regelte ab 1935 Absatz, Preise, Qualität, Rezeptur und Angebotspalette der Produkte, für die im ganzen Land kollektiv und einheitlich geworben wurde. Selbst für Etiketten, Harassen und Flaschen existierte ein Dickicht an Vorschriften und Verboten. Wirte durften ihre Biermarke nicht frei wählen, was lange niemanden störte, weil ein Gurten ohnehin fast gleich schmeckte wie ein Feldschlösschen oder ein Haldengut. Wer nicht parierte, dem drohte ein Lieferstopp. Weniger als 60 Brauereien existierten nach 1940 in der Schweiz noch, wobei der Bestand zeitweise unter 32 fiel. Selbst in einer Volksabstimmung verteidigten die Bierbrauer im Jahre 1958 ihr Kartell mit Erfolg.

Es war der Basler Hans Jakob Nidecker, der sich in den 1970er Jahren über den unhaltbaren Zustand ärgerte. Das Kartell zwang seine «Fischerstube», eine Quartierbeiz im tiefen Kleinbasel, Anker-Bier aus Frenkendorf statt Warteck aus der Nachbarschaft auszuschenken. Man ließ partout nicht mit sich reden. Kurzerhand beschloss Nidecker, sein eigenes Kleinbasler Bier zu brauen. Am 13. November 1974 wurde das erste naturtrübe Ueli-Bier gezapft. Die Gäste kamen in Scharen. Immer stärker geriet das Bierkartell in den Folgejahren unter Druck, als der Denner-Gründer Karl Schweri die Schweizer Brauer unter politischen und juristischen Dauerbeschuss nahm. Mit Anzeigenkampagnen wurde die Zermürbung der Bierbarone öffentlichkeitswirksam vorangetrieben. Als «narkotisierende Fiktion», die den Unternehmergeist und die Flexibilität ersticke, bezeichnete die NZZ das Kartell, kurz bevor dieses 1991 tief zerstritten endgültig zusammenbrach. Rasant stieg die Zahl der Brauereien danach an. Die jungen Startups der Brauszene knüpften dabei an die gewerbliche Tradition des 19. Jahrhunderts an, als viele mittelgroße Ortschaften über eigene, lokal verankerte Brauereien verfügten. Die Sortenvielfalt explodierte im Gleichtakt mit der wachsenden Experimentierfreude eingeschworener Liebhaber. Obwohl dieser Trend bis heute anhält, blieb der Bierkonsum in der Schweiz über alle Jahre nahezu konstant bei rund 4,5 Millionen Hektolitern pro Jahr. Der Pro-Kopf-Konsum geht tendenziell sogar leicht zurück – auch wenn er im letzten Sommer hitzebedingt wieder etwas anstieg. Auch die Menge des Inlandausstoßes ist trotz der Liberalisierung nicht in die Höhe geschossen – im Gegenteil: Heute wird in der Schweiz trotz Boom der Brauereien weniger Bier produziert, als dies zur Blütezeit des Kartells der Fall war. Die Vielfalt in der einheimischen Produktion kommt indessen an: Erstmals nachdem die Importmenge während Jahrzehnten stark zunahm, ist sie inzwischen wieder rückläufig. 2018 wurden 8,5 Prozent weniger Bier eingeführt als im Vorjahr.

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