Berliner Klassiker – Das Menü zum Milljöh
Das „The Grand“ in Mitte lädt zum Tasting – mit Berliner Klassikern und Matthias Martens
(FUNKE/sp) Schon Heinrich Zille wusste die Vorzüge von sauren Gurken, Solei und Boulette in der Kneipe seines Vertrauens zu schätzen. Was heute als Barfood ein Revival feiert, kam damals in Gestalt eines Hungerturms daher. Eine verglaste, gekühlte Vitrine mit kleinen, deftigen Speisen – für den Fall, dass es mal wieder länger dauert. Diesem Berliner Original widmet Tilo Roth, Küchenchef im Clubrestaurant „The Grand“ in Mitte, sein Food Pairing beim Morgenpost-Tasting im Juni. Barchef Ike Schneider serviert dazu Hauptstadt-inspirierte Drinks.
Geschichtsträchtig ist hier aber nicht nur das Menü. Das Haus an der Hirtenstraße 4 wurde 1842 als Communal-Armenschule erbaut, seit 2012 wird in gediegen-morbider Atmosphäre gefeiert und diniert statt gelernt. Roth ist, mit einer Unterbrechung, von Anfang an dabei und prägt die Küche mit französischen Grand-Hotel-Klassikern und Berliner Akzenten. Seit den 80er-Jahren ist der Hesse in der Stadt und kann damit fast als eingebürgert gelten. Auch wenn er sich das „wie“ beim Komparativ vom gebürtigen Weddinger Schneider auch nach wiederholten Versuchen nicht korrigieren lässt.
Gleich im ersten Gang wagen sich Küchen- und Barchef an die Variation eines offiziell zum regionalen Kulturerbe erklärten Getränks: die Berliner Weisse. Der vor mehr als 300 Jahren erfundene Sauerbier-Klassiker wurde im späten 19. Jahrhundert zum Lieblingsdrink der Berliner. Ike Schneider wählt für seinen Berlin Spritz eine zitronig-fruchtige Weisse von der Brauerei Berliner Berg in Neukölln und kombiniert sie mit Aperol und einem Schuss Bénédictine-Kräuterlikör. Eine Grapefruit-Zeste sorgt schon an der Nase für sommerliche Fruchtigkeit, die die säuerliche Herbe des Biers aromatisch ergänzt. Das bleibt auch am Gaumen so. Der intensiv bittersüße Aperol hält sich angenehm im Hintergrund und übernimmt die Zusatzaufgabe einer satt orangeroten Optik. Aus der Küche kommt dazu eine Käsestulle im The-Grand-Stil. Mit fermentierten roten Zwiebeln, die er sonst für seine Foie gras verwendet, stellt Tilo Roth sicher, dass Sie beim Verzehr ganz sicher nicht an Ihr Pausenbrot im Büro erinnert werden. Die leicht säuerliche Schärfe ist ein schöner Kontrast zur herben Bitterkeit des Harzers, der – keine Angst – dank cremiger Butter auf zartem Laugengebäck, auch für zarte Gemüter nicht zu streng ausfällt.
Die Farbe fällt auch beim zweiten Drink direkt ins Auge. Der Spree-Ritimo kommt in einem kräftigen Grasgrün daher. Serviert wird er von Ike Schneider in einer eleganten Cocktailschale, garniert mit einer Gurkenrolle. An der Nase entsteht so ein überraschender aromatischer Flashback zu Omas Gurkensalat: kühl, frisch, zitronig und mit einem Hauch Dill. Ein Eindruck, der sich verstärkt, wenn man die Gurke als Appetithappen vor dem ersten Nippen versteht. Die Frische wandert so direkt auf die Zunge, wo sie dank einer Prise Zitronenpfeffer um eine leichte Schärfe ergänzt wird. Der Wodka von Sash & Fritz, der an die Freundschaft zwischen Zar Alexander I. von Russland und König Friedrich Wilhelm III. von Preußen erinnert, ist dabei gefährlich wenig zu schmecken. Der begleitende Gang von Tilo Roth darf bei so viel Zartheit ruhig ein bisschen kräftiger sein. Es empfiehlt sich, beim Havel-Aal auf Pumpernickel unbedingt alle Komponenten gemeinsam zu genießen. Im Mund entsteht so eine unglaubliche Aromenvielfalt, bei der die Geschmacksnerven von den Bitternoten des Brotes, der fruchtigen Süße des Elstar-Apfel-Confits, den Räucheraromen des Fisches und der Säure des Granny-Smith-Gels gekitzelt werden.
Einen modernen Barklassiker – mit Berliner Note – bringt das Team des „The Grand“ beim Mampe Mule ins Highball- Glas. Für seine Interpretation des Moscow Mule entscheidet sich Schneider für Mampe Halb und Halb anstelle von Wodka und Cocktailbitter zum Gingerbeer. Der Dauerbrenner unter den Berliner Spirituosen wurde 1831 vom Königlich Preußischen Geheimen Sanitätsrat Carl Mampe als Mittel gegen Cholera erfunden und in Apotheken verkauft. Ganz ohne Rezept geht der Orangenbitter an der Hirtenstraße über den Tresen. An der Nase versteckt er sich zunächst noch hinter der typischen Mule-Duftkombination aus Süße, Schärfe und der obligatorischen Gurke, auch wenn der Mampe – optisch hübsch anzusehen – auf der hausgemachten Ingwerlimonade schwimmt. „Unbedingt umrühren“, sagt der Barchef, „damit Sie nicht direkt vom Alkohol erschlagen werden.“ Geschmacklich ist der Drink dank Berliner Magenbitter, Zitronensaft und einer Prise Muskat feiner als sein bekanntes Vorbild und gefällig wie eine Limonade an einem Sommerabend. Der süß-herben Schärfe setzt Tilo Roth „Bisschen was Deftiges“ entgegen: Boeuf-Tartar für die Gourmets, Schabefleisch vom Rinderfilet für die Berliner. Angemacht mit Schalotten, Kapern und Gurken, serviert auf einer Scheibe dunklem Brot ist das Fleisch wild würzig mit einer leichten Säure. „Ein kräftiges Essen zu einem kräftigen Drink“, findet der Küchenchef.
Schmutzig wird es beim vierten Gang. Der Berlin Dirty Olio ist ein Dirty Martini mit Berliner Wild Child Gin aus Botanicals wie Wacholderbeeren, Rosmarin, Koriander, Zitrone und Bergamotte. Wieviel Wermut in einen Martini gehört, ist bei diesem starken Shortdrink eine Wisschenschaft für sich. „Der trockenste Martini ist eine Flasche guten Gins, die mal neben einer Wermutflasche gestanden hat“, soll Winston Churchill einmal über sein Lieblingsgetränk gesagt haben. Schneider spült das Martiniglas mit Wermut aus, bevor er den Gin mit einem Hauch Olivensud rührt und mit einem Olivenspieß abrundet. Dadurch erhält der Drink nicht nur seine trübe Optik, sondern auch seinen unverkennbaren, leicht säuerlichen Geschmack. Der hohe Alkoholgehalt lässt sich hier schon an der Nase nicht verbergen und wird nur von der leichten Olivennote kaschiert. Ein langsames Herantasten an den kräftigen Aperitifklassiker gelingt, wenn man die Oliven nicht nur als Dekoration versteht. Für Ike Schneider definitiv sein persönlicher Favorit des Tastings: „Das Ding ist der Oberknaller!“ Die Berliner Rinderboulette ist dazu ein willkommen kräftiger Gegenpart. In der Mitte versteckt sich ein Wachtel-Solei, darunter ein Kartoffelsalat, der dank Gurken und Radieschen weniger schwer ist. Nimmt man jetzt noch mal einen Schluck des Martinis, ist der plötzlich beinahe zitronig frisch.
Als zweites Dessert tarnt sich der Abschlussdrink: Eierlikör mit Maracujasaft und -espuma. Hausgemachter Thymiansirup und etwas Falernum-Likör fügen den fruchtigen Noten nicht nur kräuterige Nuancen hinzu, sondern lassen auch das angestaubte Großmutter-Image der Alkohol-Eigelb-Zucker-Mixtur vergessen. Dennoch bleibt die Variante des zartgelben Udo-Lindenberg-Favoriten mächtig und cremig-süß. Dass Tilo Roth sich begleitend für eine klassische rote Grütze entschieden hat, ist da nur konsequent. Nicht der toppende süße Vanilleschaum steht hier im Vordergrund, sondern die fruchtige Säure der Brandenburger Waldbeeren, die den Zuckerschock gerade noch im Rahmen hält.
Foto: Barchef Ike Schneider, Küchenchef Tilo Roth und Gastgeber Matthias Martens (v.l.) sind das Team beim Tasting im „The Grand“.