Auf der Kippe. Die Konfliktgeschichte des Tabaks
Innsbrucker Ausstellung widmet sich der Konfliktgeschichte des Tabaks
(pm/sp) Auch eine paffende alte Frau kann zur Stolperfalle visueller Message-Control werden. Sie hatte sich im letzten Frühjahr in den Hintergrund einer Fotografie von Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner geschummelt. Doch das unliebsame Fotomotiv verschwand schnell von der Wirtshauswand – es wurde von Wallners Social-Media-Team durch ein Landschaftsbild ersetzt.
Mit den Mitteln der Retusche verhalfen sich auch schon andere zu einem sauberen, sprich rauchfreien Image: Jackson Pollocks Zigarette verschwand einst von einem Foto, das die US-Post als Briefmarke auflegte, und auch die Internationale Psychoanalytische Vereinigung, erfährt man aus dem Katalogbeitrag von Robert Pfaller, ließ 2010 die Cigarre aus Max Halberstadts Sigmund-Freud-Porträt von 1921 verschwinden und durch eine Füllfeder ersetzen. Hollywoods strikter Kurswechsel, was die Symbolik des Rauchens betrifft, ist allgemein bekannt.
„Höchst widerliche Auftritte, nämlich rauchende Frauen“, stachen der konservativen Tiroler Presse im August 1918 ins Auge. Kurz vor dem Ende des Ersten Weltkriegs beschäftigten so manche Hüter der (weiblichen) Moral weniger die zunehmenden Proteste gegen Krieg und Hungersnot, sondern vielmehr der moralische Verfall. Geraucht wurde an und abseits der Front freilich auch, um das Hungergefühl zu dämpfen. Und nicht zuletzt die Arbeiterinnen in den Tabakfabriken hatten begonnen, sich im Kampf für ihre Rechte zu organisieren. Die Produktion von Tabakwaren war auch im Volksmund weiblich konnotiert – die Schwazer Tabakfabrik etwa war weithin als „Tschiggin“ bekannt.
Ganz anders stand es um die gesellschaftliche Akzeptanz rauchender Frauen, Johann Baptist Reiters Gemälde Die Emanzipierte, ein Porträt der Schriftstellerin Louise Aston, zeigt den selbstbewussten, Männerkleidung tragenden Sonderfall einer Raucherin in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Zur Gleichberechtigung in Sachen erwünschter Nikotinsucht dürfte letztlich vor allem die Tabakindustrie beigetragen haben, für die Frauen zur Zielgruppe wurden.
Rauchen oder Nichtrauchen? Ein anatomisches Präparat aus dem Jahr 1920 macht die Frage obsolet. Es handelt sich um die schwarz verfärbte Lunge einer 60-jährigen Raucherin. Rauchen ist in hohem Maß gesundheitsschädigend, es schädigt außerdem die Umwelt. Dazu lassen sich jede Menge Zahlenwerke anführen – etwa auch solche, die belegen, dass die Zahl der Raucher überall dort, wo ein generelles Rauchverbot in der Gastronomie eingeführt wurde, zurückgegangen sind.
Lässt sich eine Kulturgeschichte des Rauchens also erzählen, ohne zwischen die Fronten eines anhaltenden gesellschaftspolitischen Streitfalls zu geraten? Natürlich nicht. Denn gerade im Konflikt liegt ihr Charakteristikum. Diesem folgt die von Günther Moschig klug kuratierte Schau im Tiroler Volkskunstmuseum über mehrere Jahrhunderte hinweg. Zu den kuriosesten Erfindungen der Medizingeschichte zählte das Tabakklistier mit Einsätzen für Anus, Nase und Vagina. Auch Maria Theresias Leibarzt schwor auf diese Prozedur. Gefährliches Gift und vermeintliches Heilmittel, aber natürlich auch Genussmittel, das sich gerade in der Werbung exzellent zum Symbol für Rebellion, Emanzipation oder hedonistischen Lifestyle stilisieren ließ – die Geschichte des Tabaks gibt einiges her. Siehe etwa Macht und Monopol: Der ökonomische Nutzen, etwa Tabakmonopole oder hohe Tabaksteuern, wurde bereits im 17. Jahrhundert erkannt. Er nährt bis heute die Doppelmoral, mit der dem Thema begegnet wird. Im Nationalsozialismus machten Ärzte erstmals den Zusammenhang von Rauchen und Lungenkrebs öffentlich. Hitler war militanter Nichtraucher. Die Bilder zum Einkleben in propagandistische Sammelalben über die Errungenschaften der Nazis erhielt man in der Trafik. Sie waren Zigarettenschachteln beigelegt.
Foto: „Bullyland, Lucky Luke“, 1974 (Sammlung Moschig) / Foto: Johannes Plattner