Die große Freiheit auf den kleinen Hebriden

Das Karo gehört zur nationalen Identität

(pm/sp) „Es gibt Dinge“, sagt Norrie MacLeod düster, „die gehören zusammen und befinden sich trotzdem ständig im Krieg.“ In Norries Fall sind das: ein Kilt, ein Barhocker und eine Akustikgitarre. Je beherzter er in die Saiten greift, desto bedrohlicher hüpft der glatt polierte Hocker auf dem Parkett und vor allem: desto höher rutscht das Schottenkaro Richtung Gitarrenhals und gerinnt zu einem Minirock. „Verdammte Folklore“, knurrt Norrie und zupft den Kilt zu Recht. Und doch würde er nie anders in die Sconser Lodge zu seinem Auftritt kommen. „Bedauerlicherweise“, sagt er, „gehört das Karo zu unserer nationalen Identität.“ Und die gilt viel im Schottland dieser Tage.

An jedem zweiten Wochenende besteigt er den wackligen Hocker an der Bar, wo man lang schon nicht mehr rauchen darf, Norrie aber bringt die verbrauchte Luft zum Brennen. Meist steigt er zärtlich ein, mit der Ballade von den „Bonnie Banks of Loch Lomond“ und steigert sich dann bis zum Gassenhauer „Ye Jacobites by name“, dem Folksong aus der Zeit der Jakobitenkriege, Schottlands inoffizielle Ewigkeitshymne gegen die verhasste englische Fremdherrschaft. Spätestens bei den „Jacobites“, singt die Sconser Lodge geschlossen mit, der schwere Eichentresen zittert im Takt und dahinter klirren Sherrygläser und porzellanenes Kaffeegeschirr.

„Ich mache das, damit die Stimme nicht einrostet“, sagt MacLeod. Eigentlich ist er der Barmann. Und so wechselt er in den Pausen hinter den Tresen und lässt ein Ale nach dem anderen aus dem Zapfhahn rinnen, dunkelbraun, zimmerwarm und versetzt mit einer homöopathischen Dosis Kohlensäure. „Unser local hero“, sagt MacLeod. Auch das Bier hier ist sein Werk. Brauer hat er einst gelernt und vor Jahren die „Isle of Skye Brewery“ hochgezogen, die Inselbrauerei an der Küste bei Uig. Jetzt pendelt er zwischen den Welten vor und hinter dem Zapfhahn: Ein paar Tage hilft er in der Brauerei, ein paar Tage in der Lodge. „Man könnte sagen, ich verbringe mein Leben mit Bier.“ Und Bier ist auf den Hebriden mindestens so wichtig wie der Whisky.

Nie würden sie hier ein Ale vom Festland trinken, nicht wenn es sich irgendwie vermeiden lässt. „Own stuff“, sagt Norrie MacLeod, das eigene Zeug, ist in Pint-Gläser gefüllte Heimat und jeder Schluck nestwarmes Inselgefühl. Jahrhundertelang war Skye nur mit der Fähre zu erreichen. Dann, Anfang der 90er-Jahre, hatte jemand im fernen Edinburgh die Idee, eine Brücke zu bauen. „Eine Schnapsidee“, sagt MacLeod. Nicht nur wegen der Mautgebühren brach ein Proteststurm auf der Insel los. „Besser, man hat Wasser zwischen sich und dem Festland“, heißt es auf Skye. Die Brücke kam freilich trotzdem.

Wie ein großer Hummer streckt sich Skye westlich der schottischen Küste ins kalte Nordmeer, die wohl schönste Insel der Inneren Hebriden. Land und Meer im Wechsel, die Küsten mal klippengesäumt, dramatisch in die Tiefe stürzend, muschelverkrustet, scharfkantig und schartig, mal sanft abfallend, mit ockerfarbenem Tang, der sich über die Kieselstrände legt. Die Wolken immer tief über Heidekraut und Wollgras, Torfmoosen und Sonnentau und den gehörnten Schafen dazwischen.

Von den Cuillins aus, Skyes höchstem Felsmassiv, kann man einen großen Teil der Insel sehen, nicht allerdings an Regentagen. Und meist steht ein granitfarbener Wolkenturm über den Basaltgipfeln und gießt den Himmel über den Cuillins aus. Der Bach, der vom Bergmassiv herabführt, bis zur Sligachan-Brücke und dem gleichnamigen Hotel, schwillt dann in Minuten an zu einem tosenden Tier, das sich im Bachbett aufbäumt und an der alten Steinbrücke zerrt. „Keine Sorge“, sagt Stewart Patience, „bis jetzt hat sie immer standgehalten“.

Dem Fels in der Brandung, den man von seinem Arbeitsplatz aus sehen kann, hat Patience kürzlich ein Denkmal gesetzt: „Old Bridge“ heißt eines seiner Biere. Auch Stewart Patience ist ein Brauer, Brenner hat er eigentlich gelernt, dann stieg er vom Whisky um auf Ale. In vier mannshohen Bottichen reifen vier verschiedene Sorten, alle angelehnt an das, was man von der Sligachan-Kreuzung aus sehen kann: „Old bridge“, kastanienfarben und malzig, „Black face“ nach den schwarzköpfigen Schafen, dunkelbraun mit Schokoladennoten, „Pinnacle“, nach dem gleichnamigen Cuillin-Gipfel, hopfig-mild, und „Eagle Ale“, mit Karamell-Tönen und bernsteinfarben wie manche Adlerschwingen. „Auf den Hebriden“, sagt Patience, „ist man nah an der Natur und an den Elementen.“ 60 000 Liter füllt er ab im Jahr, für das Sligachan-Hotel, ein paar Shops im nahen Portree, die Pubs in der Umgebung: der „own stuff“ für die Gegend um die Cuillins eben, eine Mikrobrauerei für einen Mikrokosmos. 23 ist Stewart jetzt, vor vier Jahren kam er aus Edinburgh hierher, seiner Freundin hinterher, doch auch der Liebe zu den Inseln wegen. „Hier kannst du dein eigenes Ding machen“, sagt er. „Auf die Hebriden kommt man, um unabhängig zu sein. Und je kleiner die Insel, desto größer die Freiheit.“

Skye hat gut 10 000 Einwohner, und Stewart Patience ist es fast schon zu voll geworden hier. Am liebsten würde er ein Stückchen weiter schwimmen Richtung offene See, „dahin, wo die Inseln kleiner werden“. Iona etwa wäre ein guter Ort, jahrhundertelang spirituelles Zentrum Schottlands, doch Heimat für gerade einmal 125 Insulaner. „Und“, sagt Patience, „die Insel hat noch keine eigene Brauerei.“ Nur einen kleinen „Spar“-Supermarkt gibt es, gleich hinter der Mole, wo die Besucher mit der Fähre anlegen und staunen über Ionas spektakulären Strand: das türkisblaue Wasser klar und still wie Wackelpudding, der feine Sand karibikweiß. An der Supermarktkasse sitzt Kathleen Nevis und schüttelt amüsiert den Kopf: „Eine Insel-Brauerei“, sagt sie, „das wäre was. Aber die Lachs-Sandwiches, die sind von hier.“

Zweimal täglich verbindet ein Flieger die Orkney-Inseln Westray und Papa-Westray. Viel Zeit, die Aussicht zu genießen, haben die Passagiere nicht: Die Strecke ist nur knapp drei Kilometer lang. Vor allem an den Wochenenden drängen sich die Kunden bei Kathleen, auf dem Weg von der Mole hinüber zur Abtei. 563 gründete der Heilige Kolumban hier ein Kloster, die Initialzündung für die Christianisierung Schottlands. Jahrhundertelang war die kleine Insel heilige Stätte und geistiger Mittelpunkt für die Kelten. Ein paar Dutzend Könige sind hier begraben, darunter Shakespeares Macbeth. Die 1938 wiederaufgebaute Abtei zieht Besucher aus ganz Schottland an. „Die meisten“, sagt Kathleen, „fahren dann noch weiter nach Staffa rüber.“ Auf Staffa aber gibt es nicht mal einen Insel-Kiosk. Wer also nicht hungrig bleiben will, geht im „Spar“-Markt von Iona noch ans Kühlregal. „Letzte Gelegenheit“, sagt Kathleen Nevis. „Bier steht übrigens da hinten.“ Fast eineinhalb Stunden dauert die Überfahrt nach Staffa, je nach Wellengang, und fast eine Stunde, bis man die Insel erstmals zu Gesicht bekommt: ein Fels im weiten, kalten Meer, 600 mal 200 Meter groß, der wie ein Tafelberg aus dem Wasser ragt, „gleich einer alten eisenbeschlagenen Truhe“, schrieb Theodor Fontane, als er 1858 hier anlandete. Nicht nur Fontane zog das „Wundereiland“ beinahe magisch an: Felix Mendelssohn Bartholdy ließ sich auf Staffa für seine „Hebriden-Ouvertüre“ inspirieren und die Musiker von Pink Floyd für so manches Album. Jules Verne machte sich Notizen hier und William Turner Skizzen.

Unbewohnt und unbebaut ist Staffa, und doch von einer ganz eigenen Geometrie: Als hier einst Lava zu Stein gerann, entstanden Tausende Säulen aus Basalt, sechseckig, schlank, fast unnatürlich exakt senkrecht in Reih und Glied: eine steinerne Armee, die ein Plateau aus Tuff trägt. „Insel der Stäbe“, nannten sie die Wikinger, als sie an Staffas Südufer anlegten, bei Fingal’s Cave. Über 70 Meter führt die Höhle vom Wasser aus ins Inselinnere, gesäumt von basaltenen Orgelpfeifen, gegen die die Wellen schwappen. Der dumpfe Ton, der dabei entsteht, gab der Insel ihren gälischen Namen: Uaimb Binn, Insel der Musik.

Mit dem Aufstieg von der Höhle zum Plateau verändert sich dann Staffas Klang: der Wind und das Gekreisch der Möwen, die dunklen Rufe der Papageitaucher, die in den Klippen brüten. Nie ist es leise hier, und trotzdem fühlt es sich still an. Von der Anlegestelle her tönt das Horn des Ausflugsbootes, das zur Rückfahrt bläst. Vielleicht aber überhört man es ganz einfach. Setzt sich ins harte Gras und das lila Heidekraut, sieht hinaus aufs silbergraue Meer. Und macht eine Dose auf, „own stuff“ aus Kathleens Kühlregal.

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